Beim Stöbern  im Internet sind wir auf unten folgenden Artikel gestoßen. Geschrieben hat ihn der Reporter Henryk M. Broder, zu finden ist er unter www.welt.de. Wir fanden ihn sehr interessant und auch mit einem Schmunzeln geschrieben. Lesen Sie hier bei uns:

 

Freies Spiel, schön, wo es noch möglich ist!

Freies Spiel, schön, wo es noch möglich ist!

Berlin richtet No-go-Areas ein, Unna erteilt Hausarrest, und in Burscheid werden Kothaufen per DNA-Test dem Übeltäter zugeordnet. Eskaliert nun der Kulturkampf zwischen Hundehaltern und -hassern?

Für Loriot war “ein Leben ohne Möpse möglich, aber sinnlos”. Der amerikanische Komiker W.C. Fields dagegen meinte, wer “Hunde und kleine Kinder hasst, der kann kein ganz schlechter Mensch sein”. Zu keinem Tier hat der Mensch eine so emotionale Beziehung wie zum Hund, man könnte sogar so weit gehen, die Haltung zum Hund zu einem zivilisatorischen Lackmustest zu erklären. Ein Gedanke, den wir nicht vertiefen wollen, damit sich keine Ethnie beleidigt fühlt.

Reden wir lieber über die Deutschen und ihre Hunde. Das ist zum einen ungefährlich und zum anderen, wie fast alles in Deutschland, statistisch abgesichert. Sieben Millionen Hunde koexistieren mit etwa 80 Millionen Menschen. Das heißt, jeder elfte Deutsche hat einen Hund. Ein Drittel der Hundehalter nimmt den Hund nachts mit ins Bett, zwei Drittel schenkt ihm etwas Besonderes zu Weihnachten. Der Markt für Hundeartikel macht 4,6 Milliarden Euro Umsatz jährlich. Vorbei die Zeiten, da der Hund das zu essen bekam, was vom Tisch fiel. Heute wird er “artgerecht” gefüttert, es darf auch “Baltischer Elch mit Gurke und Beerenmix” sein oder etwas Veganes aus dem Biomarkt.

Die symbiotische Beziehung zwischen Herr und Hund, die vor Tausenden von Jahren begann, hat mit Tierliebe nur noch bedingt zu tun. Ein Hund kann heute Statussymbol sein, der Pitbull ebenso wie der Dalmatiner, oder auch ein modisches Accessoire wie der Chihuahua, der in die Handtasche von Paris Hilton passt. Möglicherweise besucht er mit seinem Frauchen einen Doga-Kurs, Yoga für Hunde, wo das Tierchen lernt, mit Stresssituationen fertigzuwerden.

“Hundekot und Urin fügen Bäumen ernsthafte Schäden zu”

Diese Art der Emanzipation hat natürlich auch eine Kehrseite. Je stärker Hunde vermenschlicht werden, umso kürzer wird die Leine, an der sie laufen müssen.

Im Falle eines Hundes, der zu viel bellte, hat ein Gericht in Unna entschieden, dass das Tier von 22 Uhr abends bis sechs Uhr morgens und an Sonntagen nicht ins Freie darf. Als wäre es ein Kind, das wegen schlechten Benehmens von den Eltern zu Hausarrest verdonnert wird. Und in Berlin, wo man eigentlich alles darf, was nicht ausdrücklich verboten ist, hat man gerade das Gebiet um den Schlachtensee im Grunewald zu einer No-go-Area für Hunde erklärt, um den Wald zu schützen und die Qualität des Wassers durch badende Hunde nicht zu gefährden.

Dem Hundeverbot waren endlose Auseinandersetzungen vorausgegangen, wie sie in Berlin zuletzt um die Frage geführt wurden, ob der Flughafen Tempelhof geschlossen oder weiterbetrieben werden sollte. Bürgerinitiativen wurden gegründet, für und gegen das geplante Hundeverbot, Politiker standen in Bürgerversammlungen Rede und Antwort, Mediatoren schalteten sich ein, als müsste die Frage aller Fragen gelöst werden: Wohin mit den etwa 50 Tonnen Kot, die von den 100.000 Berliner Hunden täglich produziert werden? Die “Schlacht um den Schlachtensee” wurde sozusagen stellvertretend für alle Berliner Bezirke geführt.

Das Bezirksamt Treptow-Köpenick stellte “Informationen für Hundehalter” ins Netz, die auf die “gesundheitlichen Gefahren für Mensch und Tier” durch Hundekot hinwiesen: “Die Übertragung von Salmonellen, Spulwürmern, Hakenwürmern und Bandwürmern ist möglich. Sie können Ursache für verschiedene Augen-, Leber-, Lungen- und Gehirnerkrankungen sein.” Aber nicht nur Menschen und Tiere seien gefährdet. “Im Stammbereich von Bäumen darf der Hundekot auch nicht liegen bleiben. Die Ausrede ,Ist doch Dünger’ gilt nicht, denn Hundekot und Urin fügen den Bäumen ernsthafte Schäden zu.”

Hundehaltung verbieten?

Wer die “Informationen für Hundehalter” gelesen hat, der muss sich zweierlei fragen. Erstens: Wie haben es die Menschen im Bezirk Treptow-Köpenick angesichts all der “gesundheitlichen Gefahren”, die durch Hundekot verursacht werden, geschafft zu überleben? Die Kaiserzeit, die Weimarer Republik, die Nazi-Jahre, die DDR und schließlich 25 Jahre Bundesrepublik? Die Regierungen kommen und gehen, aber Berlin war schon immer ein Paradies für Hunde.

Und zweitens: Wäre es nicht besser, die Haltung von Hunden generell zu verbieten, statt ihre “Hinterlassenschaften” in Plastiktüten zu packen und diese in Mülleimern zu entsorgen, wo sie dann den normalen Müll kontaminieren? Denkbar wäre auch ein dritter Weg. Man könnte die Tiere in Internaten unterbringen, wo sie dann von ihren Besitzern an Wochenenden besucht und ausgeführt werden können. Auf eigens zu diesem Zweck eingerichteten Wegen, gesäumt von Bäumen aus Plastik, denen tierischer Urin nichts ausmacht.

Eine surreale Idee, abseits der Wirklichkeit? Mitnichten. Wer im Kulturkampf zwischen Hundefreunden und Hundehassern vermitteln will, muss sich schon etwas einfallen lassen. Das Problem ist nicht der Hund, es ist der Mensch. Oder, wie es der Biochemiker Andy Wende aus Burscheid bei Düsseldorf auf seiner Website schreibt: “Der Hauptgrund für das Problem ist doch, dass nur derjenige Hundehalter mit Konsequenzen rechnen muss, der auf frischer Tat ertappt wird”, was so gut wie unmöglich ist. Deswegen werde sich “nichts an der aktuellen Situation ändern”, die Zahl der liegen gelassenen Hundehaufen werde nicht weniger werden, dafür werde die Zahl der Beschwerden darüber “eher zunehmen”.

Es sei denn, Wende, der mit einer Arbeit über die “Funktionsweise von Sensor-Proteinen” promoviert wurde, hat Erfolg mit einem Unternehmen, das er Anfang dieses Jahres zusammen mit seiner Frau Marcella gegründet hat. Es heißt “Mistkäfer” und beruht auf der Erkenntnis, dass “jeder Hund einzigartig” ist. Mithilfe einer DNA-Datenbank sollen Kot und Köter einander zugeordnet werden. Dabei, sagt Wende, gebe es drei Optionen. Option eins: “Mistkäfer”-Mitarbeiter schwärmen aus, sammeln die “Hinterlassenschaften” ein, unterziehen sie einem Datenabgleich und melden die Ergebnisse an die zuständigen Stellen. Option zwei: Mitarbeiter des Ordnungsamtes finden einen Haufen, nehmen eine Probe und bringen sie zu “Mistkäfer”. Option drei: Mitarbeiter des Ordnungsamtes, die mit GPS-Geräten ausgerüstet werden, melden die Koordinaten des Haufens an “Mistkäfer”, wo man sich dann um die Beseitigung kümmert.

Die Sache hat nur einen Haken

Wende will sein Konzept für eine saubere Stadt demnächst dem Bürgermeister seiner Gemeinde vortragen. Tel Aviv und Neapel planten bereits strengere Einsammel- und Kontrollsysteme, sagt er. Was dort machbar ist, sollte auch in Burscheid möglich sein.

Das alles hört sich nicht sehr romantisch an. Und billig ist es auch nicht. Aber es soll “kostenneutral” sein: Die Einnahmen aus den Bußgeldbescheiden und die Kosten für die DNA-Analysen hielten sich die Waage, sagt Wende. Die Sache hat nur einen Haken. Wenn das Verfahren funktioniert und die Halter mitbekommen, dass sie über die Kotproben ihrer Hunde identifiziert werden können, werden sie eher bereit sein, zum Plastikbeutel zu greifen. Und dann würden die Einnahmen aus den Bußgeldbescheiden bald versiegen. Theoretisch arbeitet Andy Wende daran, sich überflüssig zu machen. Wie die übertüchtige Katze, die zu viele Mäuse erledigt hat.

Es gibt noch andere ungeklärte Fragen. Wie steht es um das Recht auf informationelle Selbstbestimmung? Haben Hunde nicht auch einen Anspruch auf Schutz ihrer Intimsphäre? Wenn wir sie kitzeln, lachen sie nicht? Wenn wir sie verletzen, bluten sie nicht? Wenn wir sie vergiften, sterben sie nicht?

Hunde sind Menschen auf vier Beinen. Sie können nicht sprechen, aber sehr wohl kommunizieren. Es gibt kluge und dumme Hunde, sympathische und unsympathische, freundliche und hinterhältige. Auch das haben sie mit Menschen gemeinsam. Ihre Treue ist sprichwörtlich, aber nicht grenzenlos. Ein Hund merkt sich, wer ihn gekränkt hat, und nimmt nachhaltig übel. Wenn Hunde Gesetze machen könnten, würden sie keinen Leinenzwang für Menschen einführen. Und wenn sie wüssten, wie eine Fernbedienung funktioniert, würden sie beim Zappen nicht im Dschungelcamp oder in Heidi Klums Mädchen-Gulag hängen bleiben. Könnte es sein, dass es diese Art von intuitiver Intelligenz ist, um die wir die Tiere beneiden?

Das Bedürfnis der Gesellschaft, alles zu reglementieren

Die Sache mit dem Hundeverbot am Schlachtensee wird sich vermutlich von allein erledigen, wie so vieles in Berlin. Wenn der Sommer vorbei ist, werden die Jogger, Sonnenanbeter, Spaziergänger und Radler das Gelände wieder den Tieren überlassen. Was aber bleiben wird, ist das Bedürfnis der Gesellschaft, alles zu reglementieren. Die Rechte und Pflichten der Hunde wurden auf vier Gesetze verteilt – das Hundegesetz, das Grünanlagengesetz, das Straßenreinigungsgesetz und das Hundesteuergesetz. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich auch die EU der Hundefrage annehmen und europaweite Standards für den Umgang mit Kot verkünden wird. Vorher muss nur geklärt werden, ob die Sache in die Zuständigkeit des Kommissars für Umwelt, Meerespolitik und Fischerei gehört oder die des Kommissars für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit.

Ist aber wurscht. Der echte Hundefreund macht sich auf die Liebe seines Lebens sowieso einen eigenen Reim:

Dass mir mein Hund viel lieber sei,

sagst du, oh Mensch, sei Sünde.

Der Hund blieb mir im Sturme treu,

der Mensch nicht mal im Winde.